Haushaltsrede vom 20.12.16 - Rat der Stadt Viersen

Christoph Saßen, Fraktionsvorsitzender

 

Die Haushaltsrede im pdf-Format finden Sie hier.

 

 

Haushaltsrede 20.12.16

 

 

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Bürgerinnen und Bürger,

 

der Deutsche Bundestag hat am 15. Dezember den Bundeswehreinsatz in Afghanistan mit den Stimmen der Großen Koalition und einigen Stimmen der Grünen verlängert (die CDU/CSU-Fraktion war einstimmig dafür, bei der SPD gab es 16 Nein-Stimmen und bei den Grünen waren 17 Abgeordnete dafür)[1]. Gleichzeitig gibt es aktuell eine Reisewarnung nach Afghanistan vom Auswärtigen Amt. Unter anderem steht in dieser Reisewarnung: "Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt. Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein. Auch bei von professionellen Reiseveranstaltern organisierte Einzel- oder Gruppenreisen besteht unverminderte Gefahr, Opfer einer Gewalttat zu werden. [...] In ganz Afghanistan besteht ein hohes Risiko, Opfer einer Entführung oder eines Gewaltverbrechens zu werden. Landesweit kann es zu Attentaten, Überfällen, Entführungen und anderen Gewaltverbrechen kommen.[...]"[2]. Nichts desto trotz hat die Bundesregierung Afghanistan als sicheres Herkunftsland ausgewiesen und in der vergangenen Woche damit begonnen, Menschen die vor Krieg und Terror nach Deutschland geflüchtet sind, in eben dieses Afghanistan abzuschieben. Die Fraktion DIE LINKE verurteilt dies auf das schärfste und hält diese Art und Weise des Handelns für inhuman.

Sie werden sich jetzt fragen, warum erzähle ich Ihnen das in der Haushaltsrede der Stadt Viersen? Erstens haben die beiden Bundestagsabgeordneten des Kreises Viersen dem weiteren Bundeswehrmandat in namentlicher Abstimmung zugestimmt. Wenn man die Presseberichte zur Wahl der Bundestagskandidaten für 2017 liest, dann haben beide einen großen Rückhalt in ihrer jeweiligen Partei und der ein oder andere hier anwesende wird bei der entsprechenden Wahl sein Kreuzchen gemacht haben. Es sind Ihre Parteifreunde, ihre Abgeordneten, die in der Großen Koalition mit dazu beitragen, das die Situation ist, wie sie ist. Zweitens betreffen diese Abschiebungen auch die Kommunen, wird doch hier auch und vor allem der ehrenamtliche Einsatz in der Betreuung und zur Integration von und mit Flüchtlingen ad absurdum geführt. Der finanzielle Einsatz der hier geleistet wird sollte auch nicht unerwähnt bleiben. Menschen die vor Krieg und Terror geflüchtet sind, sollten hier eine Bleibeperspektive und Zukunftsaussichten haben und bekommen, statt mit der Angst leben zu müssen, in einer nächtlichen Aktion aus dem Bett gerissen und in ein Flugzeug gesteckt zu werden, welches sie dann in ein Land zurück schickt, aus dem sie aufgrund Krieg und Terror geflüchtet sind.

Eins hängt mit dem anderen zusammen und wir dürfen unsere Augen davor nicht verschließen. Wenn man der Meinung ist, das die Verantwortlichen nur im 600 km entfernten Berlin oder im 30km entfernten Düsseldorf sitzen, dann ist das nur die halbe Wahrheit.

 

Meine Damen und Herren,

im vergangenen Jahr wurden wie bereits häufiger in der Vergangenheit Beschlüsse im Rat der Stadt Viersen bzw. in einem der Ausschüsse gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE genannt. Lassen Sie mich beispielhaft einige nennen:

Im Februar diesen Jahres hat die Fraktion DIE LINKE den Antrag an den Rat der Stadt Viersen gestellt, mittels einer Resolution die Schulleiterinnen und Schulleiter der in der Stadt Viersen beheimateten weiterführenden Schulen aufzufordern, die Bundeswehr nicht mehr in die Räumlichkeiten der Schulen zu lassen. Bei einer Veranstaltungen von Karriereberater*innen in einem Fall und "weiteren personalwerblichen Maßnahmen im Bereich Jugendmarketing außerhalb militärischer Liegenschaften sowie im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit" in einem weiteren Fall hat die Bundeswehr im Jahr 2015 zweimal Zugang zu zwei Schulen innerhalb des Viersener Stadtgebietes erhalten. Mit unserer Resolution wollten wir verhindern, dass dies in Zukunft wieder geschieht. Was wir uns innerhalb dieser Diskussion anhören mussten, war hanebüchen. Uns wurde vorgeworfen, wir wollten die Bundeswehr abschaffen, uns wurde vorgeworfen, wir hätten diese Termine erfunden und uns wurde eine SED Doktrin unterstellt. Nichts davon stimmte, die Fakten sind entsprechend der Begründung und der dem Antrag beigefügten Anlagen offiziellen Bundestags-Drucksachen entnommen worden. Wir hatten auch nicht beantragt, die Bundeswehr abzuschaffen, unabhängig davon das auch uns klar ist, das dies im Rat der Stadt Viersen nicht möglich ist. Leider wurde hier die Chance vertan, von Seiten der Stadt Viersen ein Zeichen zu setzen.

Im April diesen Jahres hatte der Ausschuss für Stadtentwicklung und -planung einen Bürgerantrag zur Beschlussfassung vorliegen, der vorsah, die Hindenburgstraße in Süchteln umzubenennen. Der Antragsteller hat hier aus unserer Sicht richtigerweise gefordert, der Person die Ehre der Straßenbenennung abzusprechen, die denn dann späteren größten Massenmörder der Geschichte ohne Not zum Reichskanzler ernannte. Die Fraktion DIE LINKE hatte bereits für das weitere Verfahren einen Namensvorschlag erarbeitet, der leider nicht mehr zum Tragen kam. Die Fraktion wollte vorschlagen, das die Hindenburgstraße in Erich-Sanders-Straße umbenannt wird. Erich Sanders wurde 1930 in Kaldenkirchen geboren und lebte von 1936 bis 1939 in Süchteln. 1939 wurde die Familie gezwungen, in ein Judenhaus nach Düsseldorf umzuziehen. Im Rahmen des sogenannten "Düsseldorfer Kollektivs" wurden dann 1003 Juden, darunter Erich und 65 weitere Kinder in einer der größten Massendeportationen am Niederrhein nach Lodz in Polen geschafft. Am 11. September 1942 wurde der zwölfjährige Erich Sanders in Chelmno in einem LKW vergast.[3] Leider gab es aus verschiedenen Gründen für den Antrag innerhalb des Ausschusses keine Mehrheit, so das auch hier die Chance vertan wurde, von Seiten der Stadt ein Zeichen zu setzen.

Im Oktober diesen Jahres hat der Rat der Stadt Viersen mit dem Beschluss zur "Satzung über die Teilnahme und Erhebung von Beiträgen im Rahmen außerunterrichtlicher Angebote der Offenen Ganztagsschule sowie der städtischen Betreuungsmaßnahme Schule von acht bis eins in der Stadt Stadt Viersen" dann ein Zeichen gesetzt. Allerdings ein, aus Sicht unserer Fraktion, sehr unrühmliches. Gemäß § 10 Absatz 2 Satz 2 und 3 der benannten Satzung kann die Stadt Viersen nämlich ab 01. August 2017 Kinder für das Fehlverhalten ihrer Eltern bestrafen. Gemäß benannten Sätzen können Kinder von der Stadt Viersen von der Teilnahme an den außerunterrichtlichen Angeboten der Offenen Ganztagsschule sowie der städtischen Betreuungsmaßnahme "Schule von acht bis eins" ausgeschlossen werden, wenn die Eltern ihrer Beitragspflicht nicht nachkommen und mindestens zwei Monate im Verzug sind und / oder die Eltern ihrer Pflicht zur Zahlung des Mittagsessens nicht oder nicht ausreichend nachkommen und hier zwei Monate im Verzug sind. Die Fraktion DIE LINKE hat in der entsprechenden Ratssitzung bereits die Streichung beantragt. Dies war genau wie eine beantragte Vertagung mehrheitlich nicht gewollt. Um es plakativ zu sagen, in der Stadt Viersen können ab dem 01.08. unschuldige minderjährige Kinder für das Fehlverhalten ihrer Eltern verantwortlich gemacht werden. DIE LINKE hält diese Sanktionsmöglichkeit für rechtlich fragwürdig und hat für die heutige Ratssitzung einen Antrag eingebracht, der die benannten Sätze aus der Satzung wieder streichen soll. Unabhängig vom Ausgang unseres Antrages werden wir hier auch nicht lockerlassen. Es kann und muss hier andere Lösungsmöglichkeiten geben.

Ebenfalls nicht locker gelassen haben wir auch in diesem Jahr das Thema 2. Gesamtschule. Um eine klare Aussage der Elternschaft zu bekommen, haben wir erneut eine Elternbefragung beantragt, welche abgelehnt worden ist. Seit unserer ersten Antragstellung zur Errichtung einer zweiten Gesamtschule in der Stadt Viersen im Jahre 2011 sind mittlerweile fünf Jahre vergangen. Fünf Jahre, in denen vielen Kindern die Chance auf bessere Bildung und Zukunftsperspektiven verwehrt worden ist.

Das Thema Kreisarchiv möchte ich nur kurz anreißen. Die Abgabe des Stadtarchivs an den Kreis halten wir als Fraktion nach wie vor für die falsche Entscheidung. Da diese Entscheidung aber mehrheitlich gefallen ist und die Stadt damit jegliche Entscheidungskompetenz an den Kreis abgegeben hat, haben uns die Äußerungen der Fraktionen CDU und Grüne im Haupt- und Finanzausschuss zum geplanten Standort des Kreisarchivs schon überrascht. Auch und vor allem, da es innerhalb der Gremien des Kreistages keine mir bekannten ähnlichen Äußerungen gegeben hat, obwohl die Verantwortung für den Standort am Ransberg zu allererst beim Kreis und nicht bei der Stadt zu suchen ist. Auch die entsprechende diesbezügliche öffentliche Information an die Ratsvertreterinnen und Ratsvertreter hätte vom Kreis kommen müssen.

Als letzten Punkt in meiner Aufzählung der aus unserer Sicht falschen gefassten Beschlüsse im Jahre 2016 möchte ich Ihnen den heute beschlossenen  Bebauungsplan "Gewerbegebiet 272 - Mackenstein-Peschfeld" nennen. Ähnlich wie im damaligen Bebauungsplan zum Thema Obi haben auch hier die Anwohner das Nachsehen. Trotz unzähliger Beratungen und Einwendungen hat der Rat heute, ähnlich wie bereits im September zur Änderung des Flächennutzungsplanes in benanntem Gebiet zugunsten eines Gewerbebetriebes und gegen die Anwohner entschieden. Dabei sei auch nochmals klar gestellt, das die Fraktion nichts gegen die Firma Reuter und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. Auch hat die Fraktion DIE LINKE nichts gegen neue Arbeitsplätze. Wenn ich mir allerdings vorstelle, das mein seit vielen Jahren unverstellter Blick in die freie Natur in Zukunft von einem zwischen 15 und 25 Meter hohen Hallenklotz verhindert wird, ich die entsprechenden zusätzlichen Verkehre und den dazugehörigen Lärm zu ertragen hätte, dann sieht die Perspektive anders aus. Ähnlich wie damals bei Obi haben wir ein Problem mit dem Bauvorhaben aufgrund der vorliegenden Örtlichkeit dieses Projektes. Wir stehen hier an der Seite der Anwohnerinnen und Anwohner und haben uns bereits von Anbeginn der Planung gegen diese Örtlichkeit für dieses Projekt ausgesprochen.

 

Meine Damen und Herren,

in meiner letzten Haushaltsrede habe ich unter anderem gesagt:

"Auch wenn wir als kleine Fraktion nicht immer und überall sein können, so sehen wir doch unsere Aufgabe darin, für die Bürgerinnen und Bürger und zu deren Wohl zu arbeiten. Dazu gehört dann auch der Hinweis, bei Bauvorhaben die die Bürgerinnen und Bürger auch finanziell persönlich belasten (Stichwort "Kommunales Abgaben Gesetz", kurz KAG) klare Kostenverteilungen und Summen zu nennen, BEVOR entsprechende Beschlüsse getätigt werden."

Die Anwohner der Chemnitzer Straße hätten sich vermutlich gefreut, wenn die benannte Summe der Vorberechnung auch nur annähernd richtig gewesen wäre. Eine Abweichung von zusätzlich fast 50 % der Summe der Vorberechnung ist schlicht inakzeptabel und die Anwohnerinnen und Anwohner wehren sich dagegen.

Gemäß Aussage der Bürgermeisterin, zu lesen in der RP vom 10.09.16 hat die Stadt im Jahr 2000 alle Aufgaben zu Bau und Unterhaltung der Kanäle an die NEW übertragen, auch das Fachpersonal. Dadurch wurden Synergieeffekte erzielt, man musste allerdings in Kauf nehmen, entsprechendes Know-How in der Stadt nicht mehr zur Verfügung zu haben.

Aus Sicht der Fraktion DIE LINKE braucht die Stadt nicht weniger, sondern mehr Personal. Seit vielen Jahren baut die Stadt Viersen Personal in der Hauptverwaltung ab. Der Leiter des Fachbereichs 10 Herr Güdden weist innerhalb von Sitzungen immer wieder auf die enge Personaldecke und die hohe Arbeitsbelastung hin. Hier muss endlich ein Umdenken auch in der Politik erfolgen. An Interessenten mangelt es nicht. Rund 1300 Bewerbungen hat die Stadt Viersen für die 27 neuen Ausbildungsplätze im Jahr 2016 erhalten.[4]

 

Meine Damen und Herren,

DIE LINKE ist nicht als Freund der schwarzen Null bekannt und sieht in einem vorgeschriebenen Haushaltsausgleich viele Gefahren. Unklar ist, inwieweit sich die 2020 eintretende Schuldenbremse bei Bund und Land auf die Stadt auswirken wird. Klar ist, die Kommune wird keine Haushaltsbremse erhalten und so steht es zu befürchten, dass viele kostenintensive Themen von Bund und Land auf die Kommune gedrückt werden. Dies ist aber alles nichts neues und seit längerem bekannt. Im Übrigen auch völlig unklar ist, wie es nach einem möglichen Haushaltsausgleich der Stadt Viersen weitergeht. Bereits in meinen letzten Haushaltsreden hatte ich darauf aufmerksam gemacht, das hier jegliche Überlegungen oder Vorbereitungen über das Jahr 2022 hinaus fehlen. Klar ist allerdings, das bis zum Jahr 2022 ein harter und steiniger Weg vor uns liegt. DIE LINKE hat sich bereits in der Vergangenheit und wird sich auch in der Zukunft dagegen wehren, das Infrastruktur und Bürgernähe geopfert werden. Klar und öffentlich kommunizieren sollten wir auch, was passiert, falls der Haushaltsausgleich nicht gelingt. Im Sinne der Transparenz sollte die Öffentlichkeit dies erfahren, diskutieren und begleiten dürfen.

Der vorliegende Haushaltsplanentwurf für 2017 steht zur Verabschiedung, das mehrheitlich gegen unsere Stimmen beschlossene Haushaltssicherungskonzept steht zur Fortschreibung an.   

Wie bereits in den letzten Jahren erklären wir auch heute, das wir pauschale Kürzungen bei den Personalaufwendungen, sowie Elternbeiträge für Kinderbetreuung sowie deren Erhöhungen nicht mittragen werden. Beides haben wir in der Vergangenheit immer abgelehnt und werden dem auch heute und in Zukunft über den Haushalt nicht zustimmen.

In Summe hat die Fraktion DIE LINKE beschlossen, sowohl den vorliegenden Haushalt 2017, als auch die Haushaltssatzung sowie die Fortschreibung für das Haushaltsicherungskonzept 2012 - 2022 für das Haushaltsjahr 2017 abzulehnen.

Zum Stellenplan sei gesagt, dass DIE LINKE einige der zusätzlichen Stellen, die auch über den Haupt- und Finanzausschuss in den Stellenplan eingeflossen sind durchaus begrüßt, so z.B. die zusätzliche Stelle für eine / einen Nahmobilitätsmanager/in sowie die zusätzliche halbe Stelle für einen Streetworker. Als falsch empfinden wir die erneute Ablehnung unseres Antrages zwei zusätzliche unbefristete Stellen für soziale Arbeit an Schulen einzurichten bzw. unserem Kompromiss mit Sperrvermerk nicht zuzustimmen.

Für den Haushalt 2018 erhoffen wir uns eine Steigerung der Ausbildungsplätze in bzw. für die Stadt Viersen.

Nach wie vor erleben wir in der Stadt Viersen eine Dauerbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung und immer wieder erleben wir, dass aufgrund von Personalmangel viele Dinge liegen bleiben. Pauschale Kürzungen für Personalaufwendungen sind aus unserer Sicht schlicht falsch und ein Grund für Überstunden und Krankheiten.

Aufgrund der ausgeführten Punkte hat sich unsere Fraktion in Summe beim Stellenplan ebenfalls zu einer Ablehnung entschieden. 

Abschließend möchte ich mich im Namen meiner Fraktion bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung für ihre geleistete Arbeit im Jahr 2016 bedanken.

Ich wünsche Ihnen und ihren Liebsten ein frohes, gesegnetes und stressfreies Weihnachtsfest.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

  

 

 

Christoph Saßen

Fraktionsvorsitzender


[1]www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung

[2]www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/AfghanistanSicherheit.html

[3]www.rp-online.de/nrw/staedte/nettetal/erich-sanders-vergast-und-vergessen-aid-1.3229499

[4]www.viersen.de/de/mitteilung/azubis-sind-am-start/